Ein Blumentopf aus Joghurtbecherli, Zahnpastatuben und Kinderspielzeug? Eine Lampe? Oder gleich ein ganzer Tisch? An der Kontrollstrasse 8 in Biel wird der Abfall, den die Leute in den Kunststoff-Sammelsack werfen, in Designobjekte verwandelt. Dort, wo das Bieler Start-up Enga seinen Sitz hat. «In der Industrie habe ich gesehen, wie viele Produkte möglichst günstig und in der Qualität nur gerade so gut wie nötig hergestellt werden», erzählt Gildas Höllmüller, der Gründer von Enga. Er ist elernter Konstrukteur und hat neun Jahre in der Maschinen- und Luftfahrtindustrie gearbeitet. «Die meisten Hersteller wollen nur Profit machen und die Menschen zu möglichst viel Konsum animieren.» Dieser kritische Blick auf die Konsumgesellschaft, kombiniert mit der globalen Kunststoffproblematik, hat Höllmüller die Motivation gegeben, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Und zu beweisen, dass es auch anders geht. «Ich wollte ein Kreislaufsystem entwickeln, das nicht nur einmalig recycelt, sondern auch wirklich hochwertige Produkte aus dem Plastikabfall schafft», so der 27-Jährige. Die Kunststoff-Sammelsäcke, die in immer mehr Gemeinden und Städten als Ergänzung zu Sammlungen wie Karton, PET und Batterien eingeführt werden, sollen der Kunststoffproblematik – insbesondere der auch heute noch übermässigen Kunststoffverbrennung von Haushaltsabfällen – entgegenwirken. Doch was passiert tatsächlich mit dem Abfall, der darin landet? Die Nutzerinnen und utzer des Sacks bleiben darüber im Unklaren. Und das soll das im Jahr 2022 gegründete Bieler Start-up ändern. Vom Joghurtbecherli zum Designobjekt Der Abfall aus den Kunststoff- Sammelsäcken geht in ein Recyclingwerk und wird zunächst gewaschen und nach Kunststofftyp sortiert. Anders als etwa die PET-Sammlungen kommt der Kunststoffabfall nämlich durchmischt und dreckig daher. Metallklingen am Einwegrasierer gehören aussortiert, Milchreste im Joghurtbecherli weggewaschen. Dann ird alles verkleinert, regranuliert – also zu kleinen Kügelchen eingeschmolzen – und eingefärbt. «Diese kleinen Kügelchen kommen dann zurück zu uns nach Biel», erklärt Höllmüller. Es gibt verschiedene Kunststoff- Sammelsäcke in der Schweiz. Enga arbeitet mit dem Kunststoff-Sammelsack Schweiz GmbH zusammen. Diesen Sack gebe es in vielen Gemeinden und Städten in der Ostschweiz, leider aber noch nicht in Biel. Der Vorteil dieses Sacks sei, dass der gesamte Recyclingprozess im selben Werk durchgeführt werde, sagt Höllmüller. Beim Bieler Sack hingegen wird der Recyclingprozess auf verschiedene Werke verteilt. Aus dem Granulat fertigt er und sein kleines Team mit 3DDruckern schliesslich die Endprodukte an. Blumentöpfe, Lampen und ganze Möbel. «Somit schliessen wir den Kreislauf: Aus dem Kunststoffabfall, den die Leute zu Hause haben, entsteht ein neues Produkt, das wieder zurück an die Leute geht», sagt der junge Unternehmer. Und sollte dieses Produkt nicht mehr ebraucht werden oder kaputtgehen, kommt es wieder zurück in diesen Kreislauf: Entweder werfen es die Leute in den Sammelsack oder gehen damit persönlich bei Enga vorbei. Reparatur- und Rücknahmedienst gehöre genauso dazu wie Recycling-Prozess und Produkt selbst, so Höllmüller. Enga versus konventionelles Recycling Der Gründer ist sich bewusst, dass auf dem heutigen Markt viele Produkte mit dem Label «recycelt» werben. Enga hebe sich jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht von iesen ab. Viele dieser Produkte bestehen nur zu einem Teil aus Recycling- Kunststoff, erklärt Höllmüller. Weiter verwenden viele Unternehmen für ihre Recyclingprodukte Industrieabfälle, fährt er fort. Dies sei gut und wichtig. Auch er habe so angefangen. Weil aber Industrieabfälle einfacher zu recyceln sind als Haushaltsabfälle – sie kommen meist sauber und einheitlich gefärbt daher –, widme sich noch kaum ein Unternehmen den Haushaltsabfällen, um daraus hochwertige Produkte zu machen Zudem bestehe Recycling oft darin, aus einer Flasche wieder Flasche oder aus Hunderten von Flaschen in der Wand versteckte Platten oder Kabelummantelungen zu machen – günstige Produkte, bei denen die Qualität keine grosse Rolle spielt, oder die für die Leute gar nicht erst sichtbar sind. «Diese Arten des Recyclings sind eine gute Sache, lösen aber nur einen kleinen Teil der Kunststoffproblematik», sagt Höllmüller. Und so geht Enga über die herkömmlichen Recyclingansätze hinaus. Enga will seine Produkte nicht verstecken, sondern sichtbar machen. «Das Ziel ist es, Produkte herzustellen, die nicht mehr mit Abfall assoziiert werden», sagt der Unternehmer. Unerwartete Kundenreaktionen Ursprünglich habe er gedacht, mit seinen Produkten vor allem Leute anzusprechen, die ein grosses Bewusstsein für Nachhaltigkeit hätten. Schnell stellte er jedoch fest, dass sich viele Kundinnen und Kunden gar nicht für die Nachhaltigkeit interessieren, «sondern einfach die Produkte cool finden». «Das ist für uns doppelt gewonnen », sagt Höllmüller. Es zeige, dass die Produkte unabhängig der Umweltthematik gut ankämen und mit der Konkurrenz mithalten könnten. Zudem gebe man den Leuten beim Kauf die Geschichte mit, die hinter dem Objekt stecke. Und so würden sie sich vielleicht das nächste Mal einmal mehr überlegen, in welchem Abfallsack sie ihr Zahnbürstli entsorgten. Ein Geschäftsmodell, das funktioniert? Der nächste Schritt passiere in der Produktentwicklung. Noch in iesem Jahr werde Enga die Zusammenarbeit mit jungen, lokalen Designerinnen und Designern aufnehmen, um an neuen Produktlinien zu arbeiten – bisher hat der gelernte Konstrukteur alle Produkte selbst designt. «Ich werde aber auch in Zukunft noch mitreden», sagt er und fügt hinzu: «Vor allem aber bei der Herstellung und der Reparierbarkeit. » Klar ist, dass das kleine Bieler Start-up in den nächsten Jahren noch viel zu tun hat – die Abfallberge werden eher grösser als kleiner. «Ich freue mich auf den Tag, an dem ich mit der Enga ein neues Geschäftsmodell aufziehen muss, weil es heisst, es gibt keinen Kunststoff mehr zum Recyceln », sagt Höllmüller und ergänzt: «Aber wir wissen, dass das noch sehr lange gehen wird.»